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C-Print, Diasec
Maße 60 x 80 cm, Auflage 5
Maße 100 x 135 cm, Auflage 2
2001


Raumdefinition

Eine kurze Geschichte der Zeit in Bilder von Andrej Barov

Stellen Sie sich einen einfachen, rechteckigen Raum vor. Er ist leer, die Wände sind weiß. Sie stehen direkt in der Tür und blicken in den Raum. Jemand hat Ihnen einen Katalog in die Hand gegeben, in der alle Einrichtungsgegenstände sind, die sie jemals in ihrem Leben gesehen haben. Ihre Aufgabe heißt jetzt: Richten Sie den Raum so ein, dass er Ihr Leben charakterisiert. Schaffen Sie Ihren Lebens-Raum. Erstellen Sie das Bühnenbild, in dem Sie als Hauptakteur auftreten.

Wie wird er aussehen? Welche Tapete benutzen Sie? Nehmen Sie Teppich oder Parkett? Und die Couch, von Ikea oder doch lieber italienisches Design? Oder wollen Sie überhaupt so viel Gemütlichkeit? Wodurch definieren Sie Ihren Lebensraum, Ihr Wohnzimmer? Sitzmöbel, Tisch, Kommunikationsmedium - Was sind die wichtigsten Elemente?

Doch halt. Bevor Sie mit dem Einrichten beginnen, noch ein kurzer Exkurs ­ zum Verständnis der Aufgabe. Es ist das dritte Jahrtausend. Wir haben uns in nur hundert Jahren rasend Entwickelt. Unsere Technologie, unser Wissen ist explodiert und ebenso das Kapital, dass wir erwirtschaftet haben. Die Weltbevölkerung hat längst die Sechs-Milliarden-Grenze überschritten und ein paar davon sind sogar schon auf dem Mond spazieren gegangen. Die Normen und Werte der Gesellschaft haben sich krass gewandelt, was früher Familie war hilft heute beim Steuern sparen. Kühe werden verrückt und Schafe geklont. Wo ist man da noch sicher, zuhause?

Wie hat sich die Definition des Wohnraums über die Zeit gewandelt? Welches Material, welche Form welches Design hatte eine typische Couch aus den zwanziger Jahren? Design, ein Begriff, der erst seit Mitte des letzten Jahrhunderts existiert. Das Design, abgeleitet vom lateinischen designare, "bezeichnen", beschreibt ein Muster. Es ist ein Entwurf für die Gestaltung eines Objekts. Der Designer als Formgestalter. Formen als Spiegel der Zeit, als dicht gewebtes Muster unsers Lebens, als zeitgeschichtliches Dokument. Blättern wir ein wenig in diesen Dokumenten. Eine Bildergeschichte des Zwanzigsten Jahrhunderts:

>> 1900: Bereicherung
Der Salon, der Raum, in dem Hausherr eine Audienz gewährt. Prunkvoll und Repräsentativ, ein Bild der Macht und des Einflusses. Die Brust ist geschwollen ­ Stumpfe Prahlerei, mit gestohlenem Gold aus den Kolonien überzogen. Romantische Vergangenheitsbilder erinnern an die guten königlichen Zeiten, begleitet von den ersten in Schellack konservierten Tönen.

>> 1910: Abstraktion
Neue Farben und Formen sind entstanden, um den modernen Zeitgeist in das Private Umfeld zu bringen. Abstraktere Formen, aus der Kunst entliehen, schmücken den Lebensraum. Der Krieg hat die Kassen leer gefressen. Unfassbare Dinge sind passiert. Der Kaiser ist gefallen und mit ihm der monarchische Prunk. Demokratie und Sozialismus werden geprobt. Der Mensch als Teilhaber der Gesellschaft. Doch das Schauspiel wird mehr zum Laientheater und verfehlt den Geschmack der geschundenen Masse.

>> 1920: Freier Fall
Im Rausch der Selbstbestimmung geht das Ziel verloren. Die Zwanziger Jahre enden in einer großen Depression. Im Wohnzimmer blättert die Farbe von der Decke und Regenwasser tropft auf die guten Edelholzmöbel. Gott sei Dank, das Telefon klingelt. Der Draht zur Außenwelt ist etabliert. Und während der Herr des Hauses auf der Psychologencouch den Tag durch dämmert, quäken aus dem Radio die ersten Reden.

>> 1930: Distanz
Was noch als Rede begann wird langsam zum Marschbefehl, der treue Volksempfänger hat seine Führungsrolle eingenommen. Er trägt die Information in die Stuben und treibt zur fleißigen Arbeit an. Die bequeme Couch ist mittlerweile dem Arbeitsstuhl gewichen. Die Sessel sind weiter auseinander gerückt, Distanz kehrt in den Alltag ein. Es riecht nach deutschen Ledernacken. Der morgen des Krieges, er dämmert bereits am Horizont.

>> 1940: Überleben
Keine Zeit, sich heimelig zu fühlen. Der Hausherr ist aus, um die Feinde zu jagen, die ihm das Radio beschrieben hat. Die heimische Stube hat sich zur Zuflucht gewandelt. Bei spärlichem Licht sitzen die letzten Familienmitglieder um einen Rest Suppe ­ alles, was noch geblieben ist. Sie zählen die Sekunden mit geschlossenen Augen. Wer weiß, wie viele ihnen am Ende noch bleiben.

>> 1950: Wiederauferstehung
Die Angst löst sich. Überlebt! Plötzlich ist wieder Zeit für Individualität. Der blaue Traum von Freiheit ist aus Plastik und quillt aus allen Fabrikhallen. Es ist nicht viel da, aber günstiger Kunststoff bringt neue Wohnlichkeit nach Hause. Und Abends sitzt die Familie zusammen vor dem Fernseher und starrt gebannt auf den neuen schwarzweißen Zukunftstraum.

>> 1960: Resozialisierung
Die Bäuche sind gefüllt, im Gegensatz zu vielen Köpfen. Die Kinder sind mittlerweile erwachsen geworden und ihnen stinkt der Muff des sparsamen elterlichen Geistes. Freiheit im Denken, Handeln und in der Wahl der Tapetenmuster. Bilder von Revolution und Provokateuren zucken über den Fernsehbildschirm und aus den Boxen der ersten Stereoanlagen quengeln dazu passend psychedelische Gitarren. Der Joint kreist in der Runde und aus der braven Einfamilie ist die schicke Wohngemeinschaft geworden.

>> 1970: Rausch
Hoffmann sei Dank: Endlich werden selbst bizarrste Wohnträume real. Future Funk und Velvet Underground. Eine Generation im Rausch der Farben und Formen. Astro Style ist angesagt und was als Love and Peace in der WG begann wird jetzt zur isolierten Selbstdarstellung. Der Mensch im Kopfraum, im Rausch seiner selbst.

>> 1980: Normierung
Der Kater nach der großen Party verlangt nach etwas greifbarem. Aus dem Norden kommt die Antwort: biedere Möbel nach Maß und für jeden Geschmack tauglich. Ikea gebiert den Traum der individuellen Uniformierung und bringt ihn auch in deutsche Wohnzimmer. Schöner wohnen. Glücklicherweise lässt sich über Geschmack nicht streiten. Ein neuer Einrichtungsgegenstand bereichert den Alltag und treibt den nächsten Keil ins Miteinander: Der Homecomputer. Ist die Familie jetzt eine Ansammlung von Bildschirmfetischisten?

>> 1990: Globalisierung
Was mit Siso begann, wird zum globalen Datentausch. Was hat das geringelte Ikea-Glas damit zu tun? Nicht mehr als jedes andere Stück Design des letzten Jahrhunderts. Es sind nur Zeugen ihrer Zeit und der Menschen, die sie geschaffen haben. Siso ist es egal, ob es im Single-Haushalt vor dem PC als Chat-Begleiter oder auf der Familientafel steht.

Der Bezug zwischen Form und Funktion wird verwischt und neu erschaffen, wie es eben gerade passt. Am Ende des Jahrhunderts verschwimmen die Konturen, obwohl die Formen des Designs ganz klar geworden sind. Jeder Wohnraum wird zur Bühne, im großen weltweiten Infotausch und was zu Beginn ganz Privatsphäre war, ist jetzt schon fast öffentliches Eigentum.

Willkommen im dritten Jahrtausend. Sie können sich jetzt ihre eigene Realität erschaffen. Dreidimensional, Interaktiv und frisch gepresst aus dem Computer. Stellen Sie sich einen einfachen Raum vor und füllen sie ihn mit all dem, was ihnen im Leben begegnet ist. Sehen Sie sich die Bilder an und achten Sie auf die Räume, in denen Sie schon aufgetreten sind.

Raumdefinitionen, die Weltgeschichte in Ihrem Wohnzimmer.

Text: werner.lackner@gmx.de
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